
Von der notwendigen Veränderung zur Innovationskultur
Dieser Beitrag behandelt den wachsenden Innovationsdruck und wie Organisationen ihm begegnen können. Eine veränderte Arbeitswelt, neue Berufsidentitäten sowie ein Markt, der aufgrund immer kürzerer Lebenszyklen fortwährend neue Lösungen und Produkte verlangt, erhöhen den Innovationsdruck für Unternehmen zunehmend. Sie müssen innovativ sein, um zu bestehen und für Fachkräfte attraktiv zu bleiben.
Andererseits bietet die sich verändernde Arbeitswelt ein großes Potenzial für Innovation: Wenn es gelingt, die Organisationskultur zu transformieren und bewusst die Diversität von Menschen und ihre neuen Vorstellungen von Arbeit zu nutzen. Aber was bedeutet Innovation konkret und wie lässt sie sich fördern? Und wie kann eine Innovationskultur in Organisationen entwickelt und etabliert werden?
Es ist keine neue Erkenntnis: Die Arbeitswelt und die Anforderungen an Unternehmen verändern sich rasant, immer mehr Branchen sind getrieben, neue Produkte und Geschäftsmodelle zu realisieren, um im harten Wettbewerbsumfeld bestehen zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben,
Nur noch 12 Prozent der Unternehmen, die vor 50 Jahren auf der Fortune-500-Liste[1] standen, lassen sich dort auch heute noch finden; gleichzeitig ist die Fluktuationsrate in den letzten Jahren aufgrund der wettbewerbsorientierten Weltwirtschaft deutlich gestiegen. Wenn sich der Trend fortsetzt, wird die Hälfte der Unternehmen, die heute noch auf der Liste stehen, bis 2028 durch neue ersetzt. In nur 25 Jahren kann sich die Zusammensetzung der Liste komplett verändern (Arbesman 2017). Das bedeutet, dass vergangener Erfolg nicht das Überleben oder den zukünftigen Erfolg sichert. Und dass Unternehmen die Entwicklung innovativer Geschäftsideen zur Priorität machen sollten, wenn sie mit dem Wettbewerb mithalten wollen. Hierfür müssen bewährte Denk- und Handlungsweisen hinterfragt und neu gestaltet werden. Wir sprechen von Disruption in weiten Teilen unserer Arbeitswelt.
Bewusst ist den meisten Führungskräften, dass Innovationskraft als Differenzierungsmerkmal nachhaltige Vorteile schafft und einen deutlichen Einfluss auf die Wettbewerbsposition hat (Dobni 2008). Peter Drucker (1999: 73) war sich bereits Ende der 1990er Jahre gewiss, dass eine Organisation, die es nicht als ihre Aufgabe ansieht, Führungs- und Organisationsstrukturen fortlaufend zu verändern, auf Dauer nicht überleben wird. Aber auch wenn das erkannt ist, bleiben zwei Fragen: Was ist Innovation? Und: Wie kann man sie realisieren?
Innovation
Der Begriff „Innovation“ wird heute inflationär verwendet und seine Bedeutung scheint mittlerweile verzerrt. Für die einen ist es der Prozess, der zu Innovation führt, für andere das Ergebnis, mithin neue Produkte und Dienstleistungen.
Einig ist man sich darin, dass der Innovation eine Reihe von kreativen Prozessen zugrunde liegt , für die es keine Formel gibt. Nick Daher (2016) nimmt an, dass Innovation nicht konventionell geplant, organisiert und von formalen Regeln und Verfahren geleitet werden kann, sondern durch eine innovative Organisationskultur gefördert werden muss.
Innovationskultur
Auch wenn die meisten Unternehmen die Bedeutung von Innovation erkannt haben, bleibt ihnen die spontane und unvorhersehbare Natur des Innovationsprozesses ein Rätsel.
Einige Führungskräfte ermutigen zwar ihre Mitarbeitenden, innovativ zu sein – doch dies bleibt meist ein Diskurs, der weder das individuelle Verhalten der Mitarbeitenden noch die Leistung des Teams oder der Organisation insgesamt beeinflusst. Andere versuchen, kreative Menschen einzustellen, oder stocken die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen personell auf.
Aber auch das ist wirkungslos und es entmutigt den kreativsten Menschen, wenn der Arbeitsplatz weder die Umgebung noch die Ressourcen für Kreativität bietet: Wenn also die Organisationskultur nicht innovationsfördernd ist (Jaruzelski, Staack und Schwartz 2015).
Als Organisationskultur wird hierbei ein Muster von Arrangements oder Verhaltensweisen verstanden, welches von einer Organisation oder einem Team als akzeptierte Methode zur Problembewältigung angenommen wird. Als solche umfasst die Kultur alle institutionalisierten Wege und die impliziten Überzeugungen, Normen, Werte und Prämissen, die dem wahrgenommenen Verhalten zugrunde liegen und es steuern (Pervaiz 1998). Organisations- bzw. Innovationskultur ist somit ein mehrdimensionales Phänomen und lässt sich nicht durch eine eindimensionale Ursache erklären. Um eine innovationsfördernde Kultur zu verstehen, muss man die zahlreichen Variablen berücksichtigen, die sie bestimmen: die Arten von Führung, Arbeitsdynamik, Autonomie und Teamarbeit sowie die individuellen Ausprägungen der Menschen innerhalb der Organisation.
So kann eine Kultur beispielsweise nicht innovativ sein, wenn die Mitarbeitenden nicht das Gefühl haben, dass ihre Führungskräfte sie ermutigen, neue Ideen vorzuschlagen (Wahrnehmung), oder wenn sie nicht Zugang zu den für die Umsetzung erforderlichen Ressourcen haben (Tatsache). In beiden Fällen sind der Mensch und seine Wahrnehmung von innovationsrelevanten Kulturelementen die entscheidenden Faktoren.
Innovationsfaktor Mensch
Innovationskultur ist eine soziale Realität, die sich nicht nur in strukturellen Rahmenbedingungen einer Organisation, wie etwa in Prozessen, Praktiken und Verfahren, sondern auch wesentlich in psychologischen, wie Wahrnehmungen, Absichten oder Überzeugungen, manifestiert. Das Verständnis für die Denkweisen und Fähigkeiten der Organisationsmitglieder sowie auch die Ausrichtung von Arbeitsgruppen auf der Grundlage individueller Eigenschaften wird sich positiv auf die Innovationskultur und somit auf die Ergebnisse der gesamten Organisation auswirken.
Ein wesentlicher Faktor ist die Vielfalt der Menschen, die in der Organisation tätig sind. Eine größtmögliche Vielfalt an Biographien und Persönlichkeiten eröffnet jeder Organisation Innovationspotenziale. Wenn Sie Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Denkweisen und Überzeugungen zusammenbringen, ergeben sich eine Reihe von unterschiedlichen Arbeitsstilen, Denkprozessen und Perspektiven. Daher ist es wichtig, Vielfalt zu verstehen und an ihr zu arbeiten.
„Wahrnehmbare“ und „verborgene“ Diversitätsmerkmale der Organisationsmitglieder müssen dabei berücksichtigt werden, denn sie führen zu einem besseren Verständnis der beteiligten menschlichen Gruppe und werden jeder Transformationsphase mehr Präzision verleihen. Diese Merkmale sollten Grundlage für Personalentwicklung und Rekrutierung sein. Ein Blick auf die Zusammensetzung der Organisationsmitglieder lässt erkennen, wo Potenziale für Innovation entstehen können oder liegen gelassen werden. „Diversity“ in diesem Sinne ist essenziell für Innovationskraft und wird über den politischen Diskurs rund um z. B. Nationalität, Geschlecht oder Inklusion hinaus zu einem wirtschaftlichen Faktor.
Ausgehend von einer möglichst breiten Vielfalt, gilt es, weitere innovationsrelevante Kulturelemente zu betrachten, beispielsweise die strukturellen Rahmenbedingungen der Organisation.
Innovationsrelevante Kulturelemente
Was sind die spezifischen Kulturelemente, die Innovation fördern, und wo kann man ansetzen, um Kreativität und Ideenreichtum kulturell zu verankern?
Die Lösung besteht vor allem darin, die Organisationskultur zu erfassen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Vision, die Überzeugungen, Werte oder Prämissen zu fördern, die das tatsächliche Handeln von Mitarbeitenden und Teams leiten und sich als produktiv für Innovationen erwiesen haben. Anders ausgedrückt: Es geht darum, die spezifischen Aspekte der Organisationskultur, die Innovationen blockieren, aufzubrechen und neu zu gestalten.
Hierbei sollte konkret auf entscheidende Dimensionen der Organisationskultur geschaut werden:
- Zunächst die organisatorischen Rahmenbedingungen, die überwiegend auf Managementebene zu lösen sind und erkennen lassen, dass Innovation ein dauerhaftes Ziel der Organisation ist.
Konkret: Gibt es eine klare Vision, innovativ sein zu wollen, und ist das obere Management dazu gewillt, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen? Lässt die Organisationsstruktur Innovation überhaupt zu und wissen alle Organisationsmitglieder über die Potenziale der Organisation Bescheid? Wenn ja, werden die nötigen Ressourcen bereitgestellt, um innovative Ideen zu generieren und zu verwirklichen? Letztendlich müssen auch eine Haltung zum Umgang mit Fehlern und der Möglichkeit zu scheitern entwickelt und die Personen, die trotz dieser Risiken innovativ sind, auch dafür belohnt werden. - Immer noch essenziell und unumgänglich ist in den meisten Organisationen der Blick auf das Führungsverständnis und -verhalten, das entwickelt werden muss, wenn die Organisation innovativ sein will.
Konkret: Sind die Führungskräfte bzw. ist die Form von Führung in der Lage, Leistung im Zusammenhang mit Innovation zu fördern, Wertschöpfungspotenziale zu erkennen und zu nutzen? Werden unterschiedliche Denkweisen verstanden, akzeptiert und gefördert? Wie werden Veränderungen kommuniziert und bewältigt? - Ein Blick auf die Tätigkeit selbst, die Beziehungen zwischen Mitarbeitenden, Führungskräften sowie der Organisation mit sich selbst und ihrer Umwelt liefert weitere wichtige Anhaltspunkte, um sich ein Bild über die eigene Innovationskultur machen zu können.
Konkret: Welche Aufgaben gibt es innerhalb der Organisation? Bieten diese genug Abwechslung, um auch Raum für Kreativität zu schaffen? Ist die Organisation in der Lage, unterschiedliche und originelle Ideen zu entwicklen, aus denen innovative Lösungen entstehen? Gibt es eine Vielfalt an Denkweisen bzw. wie wird diese in der Organisation sichergestellt und in der Zusammenarbeit unterstützt? Was wird im Bereich Wissensmanagement getan? – Und ganz wichtig: Wie werden Beziehungen innerhalb und außerhalb der Organisation gestaltet?
Anhand dieser Informationen lassen sich bereits konkrete Handlungsfelder aufdecken, um die Transformation der Organisationskultur hin zu einer Innovationskultur voranzutreiben. Vordergründig ist hierbei nicht die Selbsteinschätzung durch das Management, sondern vielmehr das Feedback aller Menschen in der Organisation.
Letztendlich: Disruption bietet eine Chance für Innovation
Digitalisierung und der damit einhergehende Wandel der Arbeitswelt sind Realität. Organisationen, die nicht bereit sind, sich zu verändern, werden kaum überleben. Dieser Druck bietet aber auch die Chance, die geänderten Lebenseinstellungen der Menschen und ihre Erwartung an die Arbeit zu berücksichtigen und sich als Organisation zukunftsfähig aufzustellen.
Eine innovationsfördernde Kultur mit all ihren Aspekten ist Grundlage, um den Herausforderungen rund um Digitalisierung und Disruption erfolgreich zu begegnen.
Dabei sind die in diesem Beitrag genannten strukturellen und menschlichen Handlungsfelder für eine innovationsfördernde Kultur deckungsgleich mit vielen der immer wieder erwähnten Anforderungen an die zukünftige Arbeitswelt: flexible Arbeitszeiten und -orte, flache Hierarchien und neue Mitbestimmungsrechte, selbstorganisierte Teams und Entscheidungsspielräume, Einsatz neuer Managementmethoden, informelle Kommunikationskanäle, vernetzte und globale Zusammenarbeit, Interkulturalität und ein geeigneter Umgang mit den Potenzialen von Vielfalt – alles Handlungsfelder, die im Zusammenhang mit Arbeiten 4.0 genannt und auch in Bezug auf eine Innovationskultur genutzt werden müssen.
Somit finden sich beim Thema „neue Arbeit“ genau die Stellschrauben für Innovationskultur, die Wachstum und Relevanz jeder Organisation in Zukunft sicherstellen kann.
Gefordert sind also ein möglichst diverses Team sowie ein Führungsverständnis und eine Infrastruktur, die den Nährboden schaffen, um neue Ideen zu generieren und umzusetzen. Innovatives Verhalten muss belohnt werden, Risiken einzugehen toleriert werden und auch Scheitern muss erlaubt sein. Eine solche Kultur zu etablieren ist nicht leicht – Einstellungen und Mentalitäten müssen sich ändern.
Dennoch: Eine Transformation, die dies berücksichtigt, wird letztendlich Innovationskraft erzeugen. Innovation in disruptiven Zeiten ist jedoch nur möglich, wenn sie als eine umfassende Kulturdimension verstanden und behandelt wird.
Literatur
- Arbesman, Samuel (2017). „Fortune 500 Turnover and Its Meaning“. https://www.wired.com/2012/06/fortune-500-turnover-and-its-meaning/ (Download 28.2.2019).
- Daher, Nick (2016). „The relationships between organizational culture and organizational culture and organizational innovation“. International Journal of Business and Public Administration (13) 2. 1–15.
- Dobni, C. Brooke (2008). „Measuring innovation culture in organizations“. European Journal of Innovation Management (11) 4. 539–559.
- Drucker, Peter F. (1999). Management challenges for the 21st century. New York, NY: HarperBusiness.
- Jaruzelski, Barry, Volker Staack und Kevin Schwartz (2015). „Innovation's New World Order“. Strategy+Business (81).
- Pervaiz K. Ahmed (1998), „Culture and climate for innovation“. European Journal of Innovation Management (1) 1. 30–43.
Dieser Beitrag ist erschienen in: Booksprint Vereinbarkeit 4.0 und steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0). Details zur Lizenz finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/.